Wieder gibt es Herzrasen und schwitzige Hände. Jürgen, 46, hat z. B. soeben 5,5 Gramm getrocknete Psilocybinpilze konsumiert. Gleich kann etwas Großes, Intensives, Mystisches, Transzendentales oder Schrecklich-Schönes passieren. Jürgen weiß nicht, was geschehen wird. Noch meditiert er, doch Angst hat er immer. Dem Göttlichen zu begegnen ist niemals leicht.
Susanne, 31, ist positiv und friedlich. Sie interessiert sich für Astrologie, Heilsteine, Reiki und Positives Denken. Ihr Zuhause hat sie zauberhaft dekoriert. Es gibt Kristalle, Teelichter, Chakrabilder und Engelfiguren. Sie mag ätherische Öle und Zirbenholz. Jeden Abend zieht sie eine Engelkarte und lächelt. Wohlfühlspiritualität macht froh!
Seit Jahrzehnten übt Simone, 54, diszipliniert Yoga, Pranayama und Meditation. Da sie körperlich und psychisch davon profitiert, kann sie sich ihr Leben ohne diese Praxis nicht mehr vorstellen. Ein Tag ohne Yoga und Meditation ist wie ein Tag ohne Nahrung und Liebe. Sie genießt die energetisierende Wirkung der Asanas, dennoch gelangt sie über Meditation nicht in höhere Bewusstseinszustände. Ob das Wahre Selbst wirklich erfahrbar ist, weiß sie nicht. Sie hofft es.
Schließen sich Psychedelika und Spiritualität aus?
Aus obigen drei Beispielen geht hervor, wie unterschiedlich Spiritualität/Esoterik und Gottsuche gelebt werden kann. Menschen, die ich hier exemplarisch Susanne und Simone genannt habe, wissen i. d. R. nicht, dass das, was sie durch intensives Sadhana (spirituelle Praxis) zu erreichen suchen, nämlich Gottverwirklichung, Erkenntnis des Wahren Selbstes, Transzendenz, auch mit psychoaktiven Substanzen wie Ayahuasca, LSD, Psilocybin, DMT, Meskalin etc. erreichen können. Sie denken, es bräuchte keine Substanzen, um spirituell zu sein. Psychedelika zu konsumieren sei illegal, schädige Körper, Geist und Psyche und erzeuge Abhängigkeit. Sie denken, wahrhaftig spirituelle Menschen verstoßen nicht gegen das Gesetz.
Dass jedoch Ayahuasca, LSD, Psilocybin, DMT und Meskalin weder eine Abhängigkeit erzeugen, noch Körper oder Psyche schädigen, ist in den Artikeln Ersetzen fünf Gramm Magic Mushrooms fünf Jahre Therapie? und Die Wirkung von Magic Mushrooms auf das Bewusstsein: Psilocybin in moderaten und hohen Dosen dargelegt.
Zur Gesetzeslage wiederum äußerte sich Terence McKenna (1946 – 2000), Sprachwissenschaftler, Autor, Biologe, Bewusstseinsforscher, wie folgt:
„Psychedelika sind illegal, nicht weil eine wohlmeinende Regierung befürchtet, dass Sie aus einem Fenster im dritten Stock springen könnten. Psychedelika sind illegal, weil sie Meinungsstrukturen und kulturell festgelegte Verhaltens- und Informationsverarbeitungsmodelle auflösen. Sie errichten in Ihnen die Gewissheit, dass alles, was Sie bisher geglaubt und gewusst haben, falsch ist.“
Was spirituell-esoterische Menschen weiters i. d. R. nicht wissen, ist, dass nicht nur junge Menschen gelegentlich Psychedelika konsumieren, sondern dass dies vielleicht der tadellos gekleidete Bankangestellte, der so ganz und gar nichts mit Yoga oder Engeln zu tun hat, schon seit vielen Jahren tut. Natürlich steht er nicht mit erweiterten Pupillen in der Bank, noch ist er sonst wie auffällig.
Wieder andere, die ernsthaft, diszipliniert und über viele Jahre hinweg spirituell praktizieren, reagieren ablehnend oder mit Eifersucht, wenn Psychonauten von der direkten Erfahrung berichten. Psychonauten sagen: Dualität kann aufgelöst werden, das Transzendentale wird erlebt, die Realität wird erkannt, das Bewusstsein erweitert sich, auch Schattenarbeit steht an, Beziehungen ändern sich, Natur wird fundamental neu erlebt und respektiert, die gesamte Weltsicht ändert sich, das Wahre Selbst wird erkannt und vieles mehr …
Es wird als unfair empfunden, dass Psychonauten „per Knopfdruck“ alles möglich sein soll, wonach ein anderer jahrzehntelang strebt.
So sagen spirituell-esoterische Menschen: Spirituelles Doping in Form von Psychedelika gilt nicht. Wer den spirituellen Marathon läuft, muss sich an die Regeln halten. Mogeln ist nicht erlaubt. Wer mit Substanzen durchs Ziel läuft, dem wird die Goldmedaille aberkannt. Niemand darf wie ein Grashüpfer zu Gott springen, nur weil er es kann.
Darauf sagen Psychonauten: Wir haben die restriktiven Strukturen der Drogen-Politik, des Neoliberalismus und der trivialen Schein-Spiritualität schon lange durchschaut. Wir mogeln nicht, wir holen uns nur zurück, was uns seitens der Regierung seit Jahrzehnten verwehrt ist: unser Wahres Selbst. Wir sind nicht feige! Wir wollen keine Baby-Spiritualität und keine Religions-Propaganda. Wir wollen das Wahrhaftige und wir kämpfen für ein Recht auf Wahrhaftigkeit.
Konsens zwischen Psychedelika und Spiritualität
Dessen ungeachtet gibt es einen Konsens: Menschen, die regelmäßig meditieren, wagen es irgendwann (dennoch) und konsumieren Psychedelika, wohingegen Menschen, die Psychedelika konsumieren, irgendwann zu meditieren beginnen.
Psychoaktive Substanzen und ernsthaft gelebte Spiritualität schließen sich nicht aus. Die Voreingenommenheit gegenüber Substanzen resultiert überwiegend aus Unwissenheit, Polit-Agenda, Angst und Angepasstheit.
Studien zu Meditation und psychoaktiven Substanzen
Im menschlichen Gehirn verhält sich die Wirkung von Psychedelika und Meditation weitestgehend gleich. Psychedelika und Vipassana-Meditation (Achtsamkeitsmeditation) z. B. erhöhen die Achtsamkeit. Die Aktivität des DMN, Default Mode Network (Ruhezustandsnetzwerk), im Gehirn wird durch Psychedelika und Meditation gleichermaßen reduziert. Neurowissenschaftlich lassen sich Psychedelika und Meditation hinsichtlich der Wirkungsweise im Gehirn nicht trennen. Dennoch gibt es einen Unterschied: Was durch jahrelange Meditation erreicht werden kann, geschieht durch eine Gabe von psychoaktiven Substanzen im Schnellverfahren. Meditation ist also ein gleichmäßiges Voranschreiten im Schritttempo, wohingegen Psychedelika sozusagen Sportwagen sind, die von Null auf Hundert in sieben Sekunden beschleunigen.
Weitere Studien hierzu:
Studie Meditation: Meditation leads to reduced default mode network activity beyond an active task – Link
Studie Mindfulness Retreat: Psilocybin-assisted mindfulness training modulates self-consciousness and brain default mode network connectivity with lasting effects – Link
Studie Psychedelika: Altered network hub connectivity after acute LSD administration – Link
Weitere Artikel zum Thema:
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Außergewöhnliche Bewusstseinszustände: Luzidität im Alltag
Der Trumanshow-Effekt: Aufwachen aus einer Realitätssimulation
Die inspirierendsten Zitate von Terence McKenna
Empfehlenswerte Bücher:
Michael Pollan: Verändere dein Bewusstsein: Was uns die neue Psychedelik-Forschung über Sucht, Depression, Todesfurcht und Transzendenz lehrt – Buchlink
William A. Richards: Heilige Erkenntnis: Der psychedelische Weg zu Offenbarung und Heilung – Buchlink
Paul-Philipp Hanske: Neues von der anderen Seite: Die Wiederentdeckung des Psychedelischen – Buchlink
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Martin Ball schreibt in „Being Human“, daß vor allem Meditierer, die niemals psychoaktive Substanzen ausprobiert haben, diese als Hilfsmittel ablehnen – aber kaum jemand, der beides kennt. Sicher kann man sehr tiefe Erfahrungen allein mit Meditation machen – allerdings glaube ich kaum, daß eine halbe Stunde Feierabendmeditation ausreicht, um da hin zu kommen, wo ein tibetischer Mönch hinkommt, wenn er sich für 7 Wochen allein in eine Himalaya-Höhle zurückzieht.
Es gibt einen wunderbaren Klassiker aus den 70er Jahren dazu, dessen Titel alles sagt: „Der Erleuchtung ist es egal, wie Du sie erlangst“ von Thaddeus Golas (gibt es als PDF im Netz)
Hallo Werner,
herzlichen Dank für deinen Kommentar! 🙂
Danke für die Ergänzung und die Buchempfehlungen!
Lieber Gruß,
Tanja