Tina kommentierte den Artikel Die Egoauflösung im Alltag wie folgt: „Liebe Tanja, Herzlichen Dank für diesen sehr tiefeinblickenden und ausführlichen Artikel! Ich finde deine präzisen Unterscheidungen und deine Argumentation sehr logisch und ich kann sehr viel damit anfangen. Eine Frage, die dieser Text bei mir aufgeworfen hat und worüber hier nicht gesprochen wird, ist, da du auch das Thema der Ego-Auflösung unter Einwirkungen von Psychedelika wie LSD ansprichst:
Gibt es bei der substanzinduzierten Ego-/Persönlichkeitsauflösung nicht auch die Gefahr des sogenannten „Hängenbleibens“? Ist es das, wenn eine Person ganz loslässt, ganz abtaucht und danach aber nicht mehr wirklich zurückfindet, sein System danach nicht mehr so ordnen kann, dass es in den Alltag passt? Denkst du, dass, wenn die Substanz abzuklingen beginnt, automatisch immer wieder zurückgefunden wird oder besteht die Gefahr, dass das nicht automatisch wieder passiert?
Und wenn diese Gefahr besteht, wie weiß man jeweils, ob es eine gute Idee ist, ganz loszulassen und abzutauchen oder nicht?
Ich bin mir klar, dass es dazu keine allgemeingültige Antwort gibt und dass es vermutlich von Person zu Person und von Mal zu Mal unterschiedlich ist. Doch würde mich deine Meinung dazu interessieren. Du beleuchtest in deinen Texten Situationen sehr detailliert und von verschiedenen Seiten. Und wenn man sonst mit Personen spricht, findet man meist nur entweder total Kontra oder total Pro und ich habe nicht das Gefühl, dass die Antwort darauf so eindeutig ist.
Liebe Grüße und Danke, dass du dein Wissen, deine Erfahrungen und deine Meinung mit so vielen teilst!“
Meine Antwort hierzu:
Die Frage, ob es eine Gefahr des Hängenbleibens gibt, ist grundsätzlich zu bejahen. Es ist tatsächlich möglich, dass eine substanzinduzierte Ego-Auflösung nach Abklingen der Wirkung der jeweiligen Substanz für eine gewisse Zeit bestehen bleibt. Dies zeigt sich z. B. durch Depersonalisation (DP) und Derealisation (DR), welche nach Konsum (von hohen Dosen) noch Tage oder Wochen andauern können. Mir ist bisher jedoch noch kein Fall begegnet, bei welchem diese Phasen nicht wieder abgeklungen wären.
Auch kommt es danach darauf an, wie der Mensch mit Depersonalisation und Derealisation umgeht, wie er dies selbst für sich interpretiert und wie hoch der Leidensdruck ist.
Wenn er nicht weiß, was geschieht und wie er damit umgeht, wird er sich an psychologische Deutungsmuster halten (müssen), somit ist er ein „zu Heilender“, jemand, der kuriert werden muss.
Einzuräumen ist, dass Derealisation und Depersonalisation u. U. große Angst erzeugen können, auch wenn der Betreffende sich seines Zustandes bewusst ist.
Dessen ungeachtet ist anzunehmen, dass die Symptome, auch wenn sie danach Tage oder wenige Wochen andauern können, automatisch wieder abklingen. Dies deshalb, weil Psychedelika, auch wenn sie nachwirken, irgendwann völlig verhallen. Dies bedauern Menschen, die die positiven Nachwirkungen schätzen, nämlich intensivere Träume, freudvolle Stimmung, Klar- und Wachheit im Alltag, umso mehr. Auch die positiven Nachwirkungen klingen (leider) ab. Daher: Auch die negativen Nachwirkungen klingen (Gott sei Dank) aller Wahrscheinlichkeit nach wieder ab.
Weiters beschreibt der Youtuber Tom mit dem Kanal „Your Mate Tom“ im Video „Derealisation & Depersonalisation: How to Overcome DP/DR“ vom 10.01.2020 wie er mit Derealisation und Depersonalisation umgegangen ist. Auch er hat durch Psychedelika danach für eine gewisse Zeit und Derealisation und Depersonalisation erfahren, doch die Symptome klangen irgendwann von alleine ab.
Grundsätzlich ist immer auf Set und Setting sowie auf die Dosis zu achten. Eine Ego-Auflösung wird aller Wahrscheinlichkeit nicht in niedrigen Dosen stattfinden – egal, um welche Substanz es sich handelt. Das heißt, dass jeder Psychonaut sich mit der jeweiligen Substanz vertraut machen sollte. Er beginnt mit sehr niedrigen Dosen und steigert diese peu à peu, wobei er jeweils drei bis vier Wochen zwischenschaltet. Er steigert die Dosis also nicht täglich, sondern im Abstand von drei bis vier Wochen.
Generell gilt: Die Dosis kann jederzeit erhöht werden, jedoch nicht jederzeit verringert. Wer von einer bestimmten Substanz wenig nimmt, kann stets mehr einnehmen, wenn er möchte. Nach oben hin ist alles offen. Wer aber viel nimmt, kann die Dosis nicht (mehr) verringern.
Wie weiß man jeweils, ob es eine gute Idee ist, ganz loszulassen und abzutauchen oder nicht?
Sowie Ängste während einer psychedelischen Erfahrung auftreten, ist ein Loslassen oder Abtauchen durch die Angst per se verhindert. Eine Universalversicherung von psychedelischen Erfahrungen gibt es nicht, wobei die Erfahrung, auch wenn sie negativ sein sollte, i. d. R. von Menschen, die z. B. jahrzehntelang bewusst und regelmäßig konsumieren, nachträglich als positiv gewertet wird.
Die Ego-Auflösung anzustreben sollte m. E. nicht das primäre Ziel sein. Wer Psychedelika konsumiert, sollte sich, wie erwähnt, langsam mit der Substanz und der Dosis vertraut machen und nicht sofort an Ego-Auflösung denken oder dies für sich wünschen/fürchten. Es gibt durch psychoaktive Substanzen eine reiche Palette an Erfahrungen, die es zu erfahren und zu genießen gibt. Unter diesen Erfahrungen ist der Ego-Tod nur eine, gewiss eine wichtige und essentielle Erfahrung, aber nicht die einzige, die es über Substanzen zu suchen und zu erleben gibt.
Erst, wenn eine gewisse Reife da ist und wenn ein gewisser Erfahrungswert mit der Substanz da ist, kann man sich u. U. an eine Ego-Auflösung herantasten und/oder diese bewusst – in hohen Dosen – einleiten.
Wer psychoaktive Substanzen bewusst und ernsthaft konsumiert, hat i. d. R. (immer) viel Hausübung. Er wird nicht umhin kommen, sich mit dem Ego und dem Selbst, mit Psychologie, spiritueller Literatur, erkenntnistheoretischen Philosophien, ja gar mit Quantenphysik und dem Aufbau des Omniversums, bzw. des multidimensionalen Universums zu beschäftigen. Weiters ist es ratsam, sich mit der chemischen Struktur und Wirkungsweise der jeweiligen Substanz vertraut zu machen, sowie die Publikationen von Timothy Leary, Terence McKenna und Stanislav Grof zu kennen. Wer diese Hausübung macht, ist auch im „Worst Case“ i. d. R. gut gewappnet.
Weitere Informationen hierzu:
Wan soll man mit Psychedelika aufhören?
Trumanshow-Effekt: Das Ego und die Tücken des Erwachens
Der Trumanshow-Effekt: Aufwachen aus einer Realitätssimulation
Ersetzen fünf Gramm Magic Mushrooms fünf Jahre Therapie?
Die Wirkung von Magic Mushrooms auf das Bewusstsein: Psilocybin in moderaten und hohen Dosen
Spirituelles Doping: Psychedelika und/oder Meditation?
Die Ganzheit des Selbstes: Modelle und Bezüge, C. G. Jung und Vedanta -Teil 1
Wiedererlangung zur Ganzheit des Selbstes – Teil 2
Die Egoauflösung im Alltag
Buchempfehlungen zum Thema:
Michael Pollan: Verändere dein Bewusstsein: Was uns die neue Psychedelik-Forschung über Sucht, Depression, Todesfurcht und Transzendenz lehrt – Buchlink
William A. Richards: Heilige Erkenntnis: Der psychedelische Weg zu Offenbarung und Heilung – Buchlink
Stanislav Grof: Der Weg des Psychonauten: Enzyklopädie für Reisen in innere Welten – Band 1 – Buchlink
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