Die sieben Stufen auf dem spirituellen Weg kennzeichnen die Stadien der spirituellen Entwicklung und können auch als spirituelle Evolution des Menschen betrachtet werden.
1. Spirituelle Sehnsucht nach etwas Höheren
Die Sehnsucht nach einer höheren, geistigen Wirklichkeit entsteht häufig durch fundamentale Fragen wie: Wer bin ich, woher komme ich, gibt es eine höhere Realität? Auch Schicksalsschläge oder sich verändernde Lebensumstände wie Verlust der Arbeitsstelle, Tod eines geliebten Menschen oder eines Haustieres, Krankheit usw. können die Sehnsucht erwecken. Oftmals gerät ein Mensch auf diese erste Stufe jedoch nicht plötzlich, sondern Stück für Stück. Dies z. B. wenn die materielle Welt mehr und mehr als ungenügend erfahren wird, als oberflächlich und substanzlos, wodurch der Mensch eine innere Leere fühlt, die von außen nicht mehr gefüllt werden kann. Arbeit, Konsum, Familie, Karriere – nichts ist (mehr) wirklich erfüllend und/oder der Mensch fragt sich: „Ist das wirklich alles?“ In dieser Phase kann sich eine Niedergedrücktheit bemerkbar machen, eine leichte oder schwere Depression – Sinnlosigkeitsgefühle, die den Menschen im Grunde neu ausrichten, weg von der materiellen Welt, hin zur immateriellen Welt, auf dass er sich mit den tieferen Wahrheiten/Weisheiten der Religionen und/oder der Spiritualität zu befassen beginnt.
2. Spirituelle Praxis
Auf der zweiten Ebene wird die spirituelle Sehnsucht nach etwas Höherem konkret. Der Mensch hat die Erfahrung, dass alles Äußere vergänglich ist, tief verinnerlicht und er weiß, dass spirituelle Praxis ihm mehr Glück, Freude und Erfüllung bringt, als es der neueste Modetrend, ein luxuriöser Urlaub oder z. B. ein weiteres amouröses Abenteuer je könnte. Er weiß, dass er ein multidimensionales Wesen ist, das unglücklicherweise in Maya, in die materielle Welt, gefallen ist und nun Karma ausarbeitet. Da alles Leben in der materiellen Welt bedingt ist, ist materielles Dasein stets unvollkommen, nie ideal, und so erkennt der Mensch auf der zweiten Ebene, dass es erstrebenswerter ist, sich Gott/dem Absoluten/der geistigen Welt zu nähern, als sich noch weiter an die materielle Welt, an Konsum, Status, Beziehungen zu Menschen etc., zu binden, sei es im positiven oder negativen. (Auch positives Karma wird letztlich abgeerntet.)
Aus diesem Grund wird ein Mensch auf der zweiten Stufe täglich praktizieren: Z. B. Meditation, Pranayama (vergleichbar mit Holotropen Atmen), Yoga, tägliches Gebet, Lesen von inspirierenden Schriften wie der Bhagavad Gita, der Bibel oder Biographien von Heiligen, gottverwirklichten Menschen etc. Er lebt eine ethische Gesinnung, die in alle Lebensbereiche einfließt und wendet sich weniger dem New-Age, der Wohlfühlesoterik und/oder der Regenbogen-Spiritualität zu, als einer profunden, alltagstauglichen Spiritualität.
Je mehr Wissen erworben wird, wie z. B. Kenntnis der verschiedenen Jenseitssysteme, der Chakras, Nadis und Kundalini, der Reinkarnationslehre, der Astralwelt, Hagiographien, Eschatologien, Kosmologien etc., umso definierter wird die eigene spirituelle Ausrichtung. Was als Religion gemeinhin in der Schule vermittelt wurde, wird in dieser Phase erweitert oder gänzlich ersetzt durch Detailwissen, was wiederum den eigenen, individuellen Weg bestimmt.
3. Spüren der göttlichen Welt
Auf der dritten Entwicklungsstufe wird Gott fühl- und erfahrbar. Gott kann hier gleichgesetzt werden mit „dem Absoluten“ oder der geistigen Welt. Durch die ausdauernde spirituelle Praxis und der allseits gelebten Ethik etabliert sich im Körper-Geist-Seele-System des Menschen mehr und mehr Reinheit und Subtilität, wodurch der Mensch transparent für die geistige Wirklichkeit wird. Gott ist nun die Synthese schlechthin, sowohl transzendent als auch immanent. Es gibt keine Widersprüche mehr in der Gottesvorstellung, da die geistige Welt nicht nur in der Natur, in allen beseelten Lebewesen, sondern sowohl als Abstraktum im höchsten Seinszustand gedacht und u. U. erlebt werden kann.
Tiefe Erfahrungen stellen sich ein, der Mensch wird durchlässig für die höheren Welten, er erfährt z. B. Gottes- und Nächstenliebe, Ekstase während der Meditation, ein Kundalini-Erwachen, vielleicht wird er aura-sichtig … Je nach individueller Natur sind auch die Erfahrungen unterschiedlich, tiefe Gottverbundenheit kann mit Medialität einhergehen, geistige Heilkräfte können sich entwickeln, oder das Bewusstsein erweitert sich bis hin zu einer Erleuchtungserfahrung …
4. Erlangen von Reinheit und Wahrheit
Auf der vierten Ebene ist der Mensch sehr viel fester verankert in andauernder Wahrheit und Reinheit, wobei hier Reinheit als Tugendhaftigkeit und Ethik verstanden werden kann. Ethik umfasst nicht nur moralisches Verhalten gegenüber anderen Menschen, sondern ebenso moralisches Verhalten gegenüber der Umwelt, den Tieren, der Natur und letztlich Gott/dem Absoluten an sich.
Während auf der dritten Stufe vereinzelte Erfahrung mit den höheren Welten gemacht wurden, sind diese auf der vierten Ebene nicht mehr exklusiv, sondern im Leben verankert. Dies kann so verstanden werden, dass auf Ebene drei sich der Mensch noch aktiv bemühen musste, um Gott in allen oder einigen Aspekten zu erfahren, dies aber sich nun dahingehend umkehrt, dass Reinheit, Wahrheit, Licht in einem Maße selbstverwirklicht werden, dass der Mensch per se zu „Gott“ wird – dies jedoch ohne Anmaßung. Er hat durch die tägliche Praxis und seine Einzel-Erlebnisse sich als „Gefäß“ so weit gereinigt und geläutert, dass Gott in ihm residieren kann, dass nicht mehr er der Suchende ist sondern zum Gefundenen wird.
In dieser Phase strahlt das Göttliche durch ihn hindurch und der Mensch kann seiner Intuition vollumfänglich vertrauen. Er will das Gute für Gott und die Mitwelt. Auch Siddhis, paranormale Kräfte, können sich entwickeln, doch im Vordergrund steht das Durchdrungen- und Erfülltsein von Gott, Liebe, Güte und Tugend.
5. Unberührbarkeit
Auf der fünften Stufe entwickelt sich eine innerseelische Unberührbarkeit, die dem Monismus nahe kommt. Gottverwirklichung im Leben bedeutet auf dieser Stufe die Neutralisierung aller Polaritäten, bzw. eine Verwirklichung der Einheit, jenseits der Dualität. Es sind hier gebrauchte Begriffe wie Monismus, Dualität, Polarität, nicht nur im Wort- sondern vor allem im ureigensten Bedeutungs- oder Erfahrungssinn zu verstehen, andernfalls schwächt sich das Verständnis dahingehend ab, dass, wenn alles nichts und nichts alles ist, im Grunde jegliches Dasein egal ist. In diesem Zusammenhang haben insbesondere die mystisch-esoterischen Strömungen, sowie z. B. die Denkmodelle der Illuminaten/Freimaurer etc. mit diesen Begriffen m. E. viel Unheil angerichtet, sodass kaum noch klare, nicht-instrumentalisierte Aussagen möglich sind.
Womöglich kann sich dennoch jeder noch den Unterschied zwischen Gleichgültigkeit und Gleich-Gültigkeit vorstellen. Um Gleich-Gültigkeit zu erlangen, ist keine Abstumpfung nötig, keine Geisteshaltung, die durch „alles ist egal, da alles eins ist“ geprägt ist, wodurch, wie es z. B. die Illuminaten tun, auch die Relativierung des Bösen in der Welt geschieht: Wenn Krieg Frieden bedingt und Frieden Krieg, kann Krieg nicht schlecht sein. Wer bei dieser Aussage leichtes Unbehagen fühlt, ist auf dem richtigen Weg, denn die Aussagen-Inhärenz ist nur scheinbar logisch, da der Fehlschluss schon in der Bedingtheit auftritt: Frieden kann immer sein, auch ohne Krieg. Krieg kann immer sein, auch ohne Frieden. Beides sind Pole, aber sie bedingen sich nicht, sondern ersetzen sich wenn, dann temporär und lokal: Wo Krieg ist, ist kein Frieden und wo Frieden ist, ist kein Krieg. Wäre Krieg also eine Notwendigkeit für Frieden und Krieg demnach gut, so erübrigten sich die hier vorgestellten Ebenen, so erübrigte sich Ethik, Moral, Tugend und die Suche nach Gott …
Auf individuell-persönlicher Ebene heißt es eben nicht Abschwächung, nicht Begriffsreduzierung und Stumpfheit, sondern – im Gegenteil – eine detaillierte, tiefe Erfahrung aller Pole, die sich u. U. über viele Inkarnationen erstreckt, sodass in der Seele selbst die Erfahrung gesetzt und erkannt ist.
Auf dieser Stufe arbeitet der Mensch immer noch Karma aus. Vielleicht ist er jetzt zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt. Dennoch weiß er, dass er eins mit dem Göttlichen ist und er sieht überall das Göttliche. Seine Unberührtheit, seine Gleich-Gültigkeit allen Erscheinungen, Formen, Situationen, Emotionen gegenüber, dem Positiven und dem Negativen, ist keine Minder-Bewertung aus einem fehlenden Begriffs- und Bedeutungs-Reservoir, auch keine Gefühllosigkeit, sondern ein Widerspiegeln/Erkennen aller gemachten Erfahrungen in allen Inkarnationen, die aus einem inner-seelischen Reichtum und nicht aus einem Mangel heraus geschieht, daher komplex und vielschichtig ist. Zugleich ist die Gleich-Gültigkeit ein inneres Zentriertsein, ein verhaftungsloses Betrachten der Formen und Erscheinungen der Welt, in welcher er den immanenten Ausdruck Gottes erkennt. Doch alles, was geschieht, (er-)kennt oder erinnert der Mensch in seinem Inneren, und weil er es in anderen Inkarnationen schon erlebt/erfahren hat, ist es ihm jetzt nicht mehr wichtig, wodurch Weisheit, Wachheit aber auch Verhaftungslosigkeit an die Welt entsteht, wenngleich immer noch ein übergeordnetes Mitgefühl vorhanden ist – ein Mitgefühl, das sich nicht in bestimmten Situationen zeigt, als emotionales Mitschwingen oder als emotionale Solidarität, nicht als liebevolle Wärme, sondern das Mitgefühl ist universaler, es bezieht sich auf den Einen, der Alles repräsentiert, es bezieht sich auf eine Qualität, die in Allem ist: Das Leiden eines Tieres ist das Leiden aller Tiere, das Leiden eines Menschen ist (seit es Menschen gibt und geben wird) das Leiden aller Menschen. Die Zugewandtheit ist nicht spezifisch und nicht auf nahestehende Menschen oder Haustiere begrenzt, sondern in der Architektur der Gegebenheiten, die im Grunde unveränderlich ist. Bedauert wird z. B. nicht eine bestimmte Leidenssituation eines bestimmten Wesens, sondern der Umstand, dass es in der Welt „so ist“, immer „so war“ und noch lange oder immer „so sein wird“ – wenn auch mit wechselnden Darstellern.
Um es abschließend zu verdeutlichen: Alles, was auf Stufe fünf erlebt und erfahren wird, ist gleich gültig, da in allem Gott wohnt und da Gott in einem selbst wohnt. Umgekehrt bedeutet dies, dass das eigene Selbst in allem wohnt und dass man selbst in Gott wohnt. Das heißt, um ein Bild zu bemühen, der Meditierende erfährt sich nicht nur als Meditierender, sondern zugleich als Meditationsobjekt, und in dieser Widerspiegelung ist alles „gleich gültig“.
6. Vollständige Verankerung im höchsten Ziel
Auf der sechsten Stufe ist jegliches Karma ausgearbeitet. Nicht jeder Mensch erreicht in einem Leben diese Stufe und wird zum Jivanmukta, ein Mensch, der noch zu Lebzeiten die Befreiung (aus dem Kreislauf der Wiedergeburten) erlangt.
Solange Karma besteht, sei es positives oder negatives Karma, wird der Mensch es abernten und daher wiedergeboren werden (müssen).
Auf dieser sechsten Entwicklungsstufe ist der Mensch zunächst „irdisch“ frei, er fühlt, dass er hier nichts mehr zu tun hat, dass weder moralische, weltliche Pflichten ihn binden, noch dass er (noch) Wünsche/Bedürfnisse hat, die sich auf Maya, die manifestierte Welt, beziehen …
Er ist in der Tat karmisch frei.
Daher arbeitet Gott durch ihn vollumfänglich hindurch. Er weiß, dass seine eigene Befreiung nur noch nützt, indem er anderen Menschen den Weg weist. Das Gute, das Rechte zu tun, sich für eine bessere Welt zu engagieren, ist unter dem Gesichtspunkt, dass alle Menschen sterben werden, nicht mehr wichtig. Je mehr Menschen jedoch die Befreiung erlangen, so wie er, umso mehr ist erreicht. Daher wird er seinen Dienst an der Welt, wenn, dann nur mehr noch dahingehend erfüllen, dass er Menschen kein weltliches Wissen offeriert, sondern transzendentales. Er wird Menschen zwar immer noch an Ethik erinnern, aber er selbst wird nicht oder nur noch marginal politisch aktiv, sich nicht im Umwelt- oder Tierschutz engangieren, sondern sich darauf konzentrieren, Menschen zur Befreiung zu führen, indem er ihnen seinen eigenen Lebensweg, sein Wissen und seine Weisheit schenkt.
7. Gottesbewusstsein
Gottesbewusstsein ist die letzte, siebte Stufe, die nur sehr wenige Menschen zu Lebzeiten erreichen. Auf dieser Ebene ist jegliches Karma erloschen, der Mensch hat in sich das Absolute verwirklicht, das heißt, Zeit, Raum und Kausalität sind überstiegen. Für gewöhnlich ereignet sich dieser Bewusstseinszustand innerhalb der Meditation. Neben den drei Normalbewusstseinszuständen, Wachbewusstsein, Traumbewusstsein und Tiefschlaf, ist „Gottesbewusstsein“ oder Erleuchtung das, was über Wachbewusstsein, Traumbewusstsein und Tiefschlaf hinausgeht. Es ist die Erfahrung absoluter Einheit bei vollkommener Wachheit, daher die Aufhebung jeglicher Dualität. Es ist das Erleben der höchsten Wirklichkeit, der absoluten Wahrheit, der Einheit mit Gott.
Nachbemerkung zu den sieben Stufen
Vermutlich findet sich jeder, der auf dem spirituellen Weg ist, auf einer der sieben Stufen wieder. Es gibt jedoch auch Schwankungen oder Überschneidungen. Es kann jemand für eine Weile auf Stufe eins sein, auf Stufe zwei oder drei gelangen und irgendwann wieder auf Stufe eins zurückfallen, um dann plötzlich auf Stufe fünf oder sechs zu kommen und z. B. wieder auf Stufe drei zurückfallen, sowie es auch sein kann, dass jemand temporär aber gleichzeitig z. B. in Stufe fünf und eins ist. Auch kann es sein, dass ein Mensch dauerhaft, gemäß seiner Anlagen, seines Wissens, Karmas und seiner Überzeugungen, Zeit seines Lebens auf nur einer Stufe ist. Z. B. kann ein Mensch schon mit übernatürlichen Kräften, Siddhis, geboren werden, und er ist auf der Erde, um Weisheit und Ethik zu lernen, oder umgekehrt, er hat in sich per se, von Geburt an, schon höchste Ideale von Fairness und Gerechtigkeit, ist aber nochmals inkarniert, um mit Siddhis umgehen zu lernen …
Es sind diese sieben Stufen an die sieben Bhumikas (Sanskrit: Grad, Stufe) der Yoga-Philosophie angelehnt, sie können jedoch, wie eingangs erwähnt, auch als spirituelle Evolution des Menschen begriffen werden.
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Sehr guter Text. Danke Tanja <3
Danke Ulla! 🙂