„Follow me. Can’t you see? I’m the Pied Piper. Trust in me! I’m the Pied Piper and I’ll show you where it’s at …“
Dieses Lied sang Crispian St. Peters im Jahr 1966. „Follow me!“, schmetterte er mit einer Selbstverständlichkeit, als ob dem nichts hinzuzufügen wäre.
Der Rattenfänger von Hameln
Wir alle kennen wohl noch die deutsche Sage des „Rattenfängers von Hameln“, der die Stadt Hameln von einer Rattenplage befreite, indem er seine Pfeife zückte und die Tierchen mit seiner Musik so sehr verzauberte, dass sie ihm freudig folgten. Daher begreift man heutzutage den Pied Piper auch im negativen Sinn als „Volksverführer“.
Follow me, sage nun auch ich. Doch warum solltest du das tun? Mochte Crispian St. Peters einfach nur ein Lied gesungen haben, das genauer zu hinterfragen kaum interessiert, Hauptsache Rhythmus und Melodie stimmen, so hat es St. Peters Text dennoch in sich: „Folge mir“, singt er. „Siehst du es nicht? Ich bin der Rattenfänger. Vertraue mir. Ich bin der Rattenfänger, und ich zeige dir, wo’s langgeht …“ Dies klingt schon ein bisschen mehr nach „Volksverführung“. Jemand weißt sich als Rattenfänger aus und sagt im selben Atemzug „Vertrau mir“.
Volksverführer der Moderne
Wer jedoch agiert in unserer Gesellschaft so? Natürlich sagt niemand direkt von sich, er wäre ein Rattenfänger, dem man vertrauen könne, doch „der Brustton der Überzeugung“ erzeugt dieselbe Wirkung. Ein triviales Beispiel hierzu: Teleshopping. Je länger man zusieht, umso überzeugter ist man plötzlich von einer Teflonpfanne. Doch ebenso, und weitaus weniger trivial, ist Politik ein gutes Beispiel. Wie agieren Politiker? Hierbei erinnere man sich an den „Brustton der Überzeugung“, mit welchem Wahlkampf betrieben wird, untersuche die Rhetorik oder schlage den Begriff „Polemik“ nach.
Auch Esoteriker und Energetiker sind oft starke Pied Pipers, die nicht selten hierarchische Gruppen bilden, in welchen nur einer im Vollbesitz der Wahrheit ist, nämlich jener, der den Aufstiegsweg in zehn oder mehr Etappen verkündet, wobei natürlich ein offenes Herz so sehr geschätzt wird wie eine offene Brieftasche.
Fernsehen, Werbung, Medien. – Ebenfalls „agitatorisch“ im Sinne eines Pied Pipers, denn worum es geht, ist die unmittelbare Absorption unserer Aufmerksamkeit, damit man die Melodie der Pfeife hört, follow me, trust in me, damit man sich möglichst weit weg von sich selbst bewegt, hin zu einem neuen Bedürfnis, das da z. B. Teflonpfanne heißt. Am besten tanzt man noch dabei, fühlt sich wohl, zumindest so lange, bis man die Pfanne hat und seinen Freunden davon erzählt hat. Bald schon verblasst die neue Eroberung, aber das neu beworbene Handy will ja auch Aufmerksamkeit, sowie diese neue Gruppe bei Facebook, sowie der Guru von einer Freundin, der plötzlich den eigenen (Vor-)Namen kennt und einen höchst persönlich in seinen Seminaren sehen will, sowie die Werkstatt, die uns beim Service plötzlich ein neues Auto vorführt und so weiter und so fort.
Vielleicht hat man die Beeinflussung der Medien auch schon längst durchschaut, ist in seinen Bedürfnissen nicht mehr so leicht zu triggern. Vielleicht öffnet der eine oder andere seine Brieftasche schon lange nicht mehr, doch unsere Aufmerksamkeit, wohin geht sie? Tobt man sich in Facebook-Gruppen aus? Hat man eine Meinung? Oder schon ein klares Standing? Und warum? Oder sieht man lieber die neueste Serie, weil das Toben auch schon lange nicht mehr interessiert? Weder noch? Es interessiert weder Facebook noch TV, man bevorzugt immer noch den realen Kontakt zu anderen Menschen, zückt aber dann, kaum dass man Hallo gesagt hast, schon das Handy um neue Nachrichten zu checken?
Beeinflussung und Manipulation
Es geht also um Beeinflussung. Unser Geld ist nach wie vor gefragt, doch favorisiert ist mittlerweile viel mehr unsere Aufmerksamkeit, in die sich die monströsesten Schaufeln graben, um Beute zu machen. Doch auch das – schlimm genug – ist lediglich der erste Schritt vor dem zweiten, das Vorgeplänkel zum eigentlichen Akt, nämlich der Einverleibung unserer Gesinnung, die fortwährend geprägt werden soll, was seltenst in unserem Sinne ist. Eltern, Lehrer, Freunde prägen uns die Gesinnung auf, die ihnen ihre Eltern, Lehrer und Freunde aufgeprägt haben. Diese Grundgesinnung ist nicht notwendigerweise schlecht, sondern „schlimmstenfalls“ normal. Spätestens bis zum zwanzigsten Lebensjahr ist diese Prägung mehr oder minder abgeschlossen und man übt und erprobt sich damit in der Welt und meint, über alle weiteren Prägungen erhaben zu sein.
Bis zu einem gewissen Grad mag dies stimmen, dennoch versucht die Außenwelt unsere Gesinnung zu färben. Unsere Gesinnung wird gewaschen, gebleicht, geschleudert und getrocknet, je nachdem, ob wir (von den Medien) desinformiert, manipuliert, instrumentalisiert oder beschwichtigt werden sollen. Dabei geht es letztlich immer nur um zwei Dinge. Erstens: Man soll niemals zu seinem wahren, spirituellen Kern dringen, denn gelänge einem das, wäre man nicht mehr zu kontrollieren. Zweitens: Man soll im System-Kreislauf bleiben: Arbeiten, essen, konsumieren. Konsumieren, essen, arbeiten.
Aber jetzt bist du hier, auf dieser Seite, und was sage ich? Follow me. Genau.
Doch warum also solltest du mir folgen?
Mein erstes Argument hierzu ist, dass ich politisch entfärbt bin. Was auch immer ich schreibe, ist stets meine freie, über jede Politik erhabene Meinung.
Mein zweites Argument ist, dass ich zwar spirituell interessiert bin, jedoch keiner Gruppe angehöre, die meine Gesinnung beeinflusst. Ich mag Reiki, doch eine Reikianerin bin ich nicht. Ich mag Engel, doch eine Engelsbotschafterin bin ich nicht. Ich mag die Ars Goetia, doch eine Dämonenbeschwörerin bin ich nicht. Ich mag die Magie von Franz Bardon, doch eine Adeptin bin ich nicht. Ich mag Jesus, doch eine Gläubige bin ich nicht. Ich habe eine aktive Kundalini, doch eine Nath-Yogini bin ich nicht. Ich lebe nach einer sehr klaren Ethik, doch erleuchtet bin ich nicht.
Deshalb ist alles, was ich zum Thema Spiritualität schreibe, stets ohne Kleingedrucktes aufzufassen, ohne eine Bindung an mich als „Gurutesse“, die die Weisheit gepachtet haben will.
Mein drittes Argument ist, dass ich sämtliche Informationen sehr genau prüfe, bevor ich sie in meinen Kopf lasse, in mein Herz, und wieder hinaus. Es ist für mich sehr wichtig, den allgemeinen Informationsmüll der Außenwelt nicht aufzunehmen, denn nicht nur gäbe ich denselben „Müll“ dann wieder, wenn auch in abgemagerter Form, sondern ginge mein Geist dabei ständig leer aus. Die Informationen des Alltags sind Placebos. Sie bedeuten das, was jemand sagt und ein anderer glaubt. Sie sind wie Placebos, die man schluckt, ohne jedoch eine Verbesserung der geistigen/körperlichen Konstitution zu erlangen. Diesen Müll will ich nicht in meinem System haben, also passe ich auf, was ich „glaube“. Daher gebe ich auch nur das von mir, was mir notwendig, wichtig und gesichert scheint.
Mein viertes Argument ist, dass ich niemals unhinterfragt Vertrauen abernten will. Trust me, sagt der Rattenfänger. Wer mehr auf dem Blog liest, wird irgendwann selbst spüren, ob die Inhalte „wahr“ sind oder nicht.
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Oder gleich in medias res mit einem gern gelesenen Artikel: Raus aus der Matrix
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